Stellungnahme zur ARD-Berichterstattung „Das Krebskartell – Milliardengeschäft mit Chemotherapien vom 20.07.2023“
der
Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP e.V.)
Veritaskai 6
21079 Hamburg
Die Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) beschäftigt sich seit Ihrer Gründung vor 25 Jahren damit, die Unterstützung von Krebspatient*innen zu verbessern und eine qualitativ hochwertige, sichere und zeitnahe Versorgung in multiprofessionellen Netzwerken zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wurde seit 1996 der Qualitätsstandard für den pharmazeutisch-onkologischen Service (QuapoS) herausgegeben, der – inzwischen in 6. Version vorliegend - wesentlich zur prozessbezogenen Qualitätssicherung im Bereich des pharmazeutisch-onkologischen Services beigetragen hat. Mittlerweile ist durch die Übernahme des in Deutschland entstandenen Standards durch die nationalen Fachverbände auf EU-Ebene ein multiprofessionelles Instrument entstanden, das einen wichtigen Beitrag zur gleichwertigen Behandlung von Krebspatient*innen in ganz Europa leistet. Seit 2001 hat die DGOP nicht nur zahlreiche Apotheken, die mit der Herstellung von Zytostatika im niedergelassenen Bereich, wie auch in Krankenhäusern befasst sind, zertifiziert, sondern unterstützt durch Kooperation mit der Deutschen Krebsgesellschaft einen effizienten Zertifizierungsablauf der Onkologischen Zentren.
Es ist uns daher ein Anliegen, bezogen auf die aktuelle Berichterstattung, Position zu den wesentlichen Voraussetzungen einer ethisch, ökonomisch und fachlich einwandfreien Versorgung von Krebspatient*innen durch Apotheken in Deutschland darzulegen.
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Apotheken erbringen unverzichtbare und qualitativ hochwertige Leistungen in der Versorgung von Krebspatient*innen, die über die Herstellung von Krebsarzneimitteln hinausgehen!
Die pharmazeutisch-onkologische Versorgung von Krebspatient*innen, welche sich über ein weites Feld von Dienstleistungen erstreckt und seit langem in etablierten multiprofessionellen Netzwerken zum Wohle der Patient*innen stattfindet, wird sowohl in der aktuellen Berichterstattung, als auch den immer wieder stattfindenden Diskussionen um die Finanzierung von Leistungen konsequent vernachlässigt. Bis heute sind die vielfältigen Betreuungsangebote (z.B. Pharmazeutische Betreuung, Palliativversorgung und weitere mehr) für Krebspatient*innen durch Apotheken nicht auskömmlich finanziert. Der Bericht sendet ein verzerrtes Bild und negiert das tausend-fache Engagement von Apotheker*innen, die sich Tag für Tag trotz kaum wahrnehmbarer Anerkennung durch die Politik für eine sichere und qualitativ einwandfreie Versorgung von Krebspatient*innen einsetzen. -
Der zu betreibende Aufwand für eine qualitätsgerechte Herstellung von patientenindividuellen Krebsarzneimitteln geht weit über die Darstellung in der Berichterstattung hinaus!
Die Vorgaben an Technik, Räumlichkeiten und Equipment (Kleidung, Hilfsmittel etc.) für die aseptische Zubereitung von patientenindividuellen Krebsarzneimitteln aus sterilen Fertigarzneimitteln sind im vergangenen Jahrzehnt massiv erhöht worden und entsprechen nicht mehr dem im Bericht dargestellten Standard. Dies hat den Großteil der herstellenden Apotheken zu enormen Investitionen gezwungen. Hinzu kommen regelmäßige Gebühren für Betrieb, Energie und Wartung. Im Gegensatz zu gewerblichen Herstellern (siehe Punkt 4) müssen Apotheken höhere Personalkosten investieren, da laut Apothekenbetriebsordnung die Herstellung in Apotheken nur mit pharmazeutischem Personal betrieben werden darf, welches zudem gesondert qualifiziert werden muss. Der Einsatz von qualifizierten Fachpersonal ist ein wesentlicher Baustein zur Fehlervermeidung und Sicherstellung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Weiterhin entspricht auch das Verhalten beim Betreten des Reinraums im entsprechenden Bericht nicht dem qualitätsgerechten aseptischen Verhalten nach den von der DGOP definierten Standards (QuapoS, siehe oben) und zeugt von Unkenntnis über die aktuellen Entwicklungen.
Der Aufwand je Zubereitung ist zudem differenziert zu betrachten, da dieser je nach Arzneimittel sehr unterschiedlich sein kann (mehrstufige Herstellungsprozesse, langwierige Rekonstitutionsvorgänge, Arbeit mit empfindlichen Arzneimitteln wie Proteinen oder Enzymen). Weiterhin können hohe Verluste durch Verwürfe entstehen, die nicht immer von den Kostenträgern erstattet werden. Hier sei auch die von den Kostenträgern nach wie vor angewandte Praxis der Nullretaxation genannt, d.h. die nachträgliche vollständige Zahlungsverweigerung aufgrund nicht therapierelevanter Formfehler. -
Diese Versorgung von Krebspatient*innen durch spezialisierte niedergelassene Apotheken ist durch vergangene Gesetzgebungsverfahren, die vorwiegend dem Ziel der Einsparungen dienten, massiv geschwächt worden und existenziell bedroht!
Der im Bericht zur Sprache kommende Herstellungszuschlag ist auch in seiner kürzlich angepassten Form nicht auskömmlich. Die Apotheken sind daher in einer Mischkalkulation noch auf Arzneimittel-Margen angewiesen. Die Zahl herstellender niedergelassener Apotheken in Deutschland ist daher im letzten Jahrzehnt schon erheblich geschrumpft, zusätzlich haben Schlupflöcher in der Gesetzgebung die Verdrängung durch Großinvestoren mit ethisch fragwürdigen Geschäftsmodellen begünstigt. Das Verschwinden entsprechend spezialisierter Apotheken bedeutet zugleich eine Schwächung pharmazeutisch-onkologischer Kompetenz in den multiprofessionellen Netzwerken für die Betreuung von Krebspatient*innen. -
Die aktuelle Gesetzeslage begünstigt ethisch fragwürdige Bereicherung auf Kosten der Sozialsysteme durch ökonomisch getriebene private Investoren!
Wie im Bericht des stern vom 18.07.2023 ausführlich dargestellt, stellt die Aushöhlung der Sozialsysteme durch die bekannten Modelle mit Trägerschaften von Medizinischen Versorgungszentren durch private Klinikinvestoren, durch die Ärzt*innen in Abhängigkeiten gebracht werden, die eigentliche Bedrohung dar. Hierbei werden die Abhängigkeiten der Ärzt*innen zum Risiko für die behandelten Patient*innen, da ein Einfluss auf die Wahl der Therapie nach ökonomischen Motiven begünstigt wird. Weiterhin werden hochsensible patientenindividuelle Arzneimittel durch das ganze Land transportiert mit allen Risiken für entsprechende Qualitätsmängel. Wir fordern die Politik auf, diese Schlupflöcher ohne Ausnahme zu schließen und hinsichtlich der Versorgung von Krebspatient*innen mit patientenindividuell hergestellten Arzneimitteln dem Regionalprinzip zu folgen. -
Paradigmenwechsel: Die pharmazeutische Versorgung von Krebspatient*innen ist über die auskömmliche Vergütung der gesamten Dienstleistung zu gestalten, nicht dagegen über die Marge an den Arzneimitteln!
Bereits 2018 hatte der Gesetzgeber in Entwürfen zum Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) eine Erhöhung der Vergütungspauschalen zu Lasten einer über die Arzneimittelpreisverordnung hinausgehenden Einkaufsmarge vorgesehen. Eine Umsetzung hatten alle Apothekenvertreter*innen befürwortet, sie ist damals am Widerstand der Krankenkassen gescheitert. Die Steuerung der Versorgung von Patient*innen an Margen zwischen Ein- und Verkauf von Krebsarzneimitteln zu orientieren, war und bleibt jedoch ein ungeeignetes Modell, welches die Bedeutung einer qualitätsorientierten Betreuung von Krebspatient*innen verkennt und ethisch fragwürdige Auswüchse der Gewinnbestrebungen begünstigt. Beim ganz überwiegenden Teil der Apotheker*innen steht hingegen das Patientenwohl im Fokus. Steht dies nicht immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, so verdient es dennoch die Anerkennung aller gesellschaftlich betroffenen Institutionen. Ein dieses Patientenwohl und die Versorgungssicherheit gewährleistender pharmazeutisch-onkologischer Service bedarf enger fachlicher Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Apotheke. Dies ist nur ortsnah möglich, (um)steuernde Eingriffe von Kassen oder Investoren sind abzulehnen.
Für ein stabiles Umfeld und eine sachgerechte, adäquate Finanzierung muss sich die Vergütung daher aus unserer Sicht, anstelle von Margen, an der pharmazeutischen Dienstleistung orientieren, welche auf dem Boden eines standardisierten Qualitätsrahmens erbracht wurde. Die Pauschalen sind dabei auskömmlich zu finanzieren.
Hamburg, den 26.07.2023
Dr. Tilman Schöning
Präsident DGOP e.V.
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